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Offener Brief an Lehramtstudierende, Lehrende des IKL sowie das Rektorat

Liebe Kolleg*innen, geschätzte Lehrende und Professor*innen, sehr geehrtes Rektorat,

Bevor ich mein Studium des Bachelors für die beiden künstlerischen Lehramtsfächer abbreche und damit auch das Masterstudium für das künstlerisches Lehramt nicht mehr anstrebe, möchte ich noch etwas loswerden, das – so denke ich – auch Sie und viele Studienkolleg*innen betrifft und noch betreffen wird. Ich denke, die Gründe für meinen Abbruch sind kein Einzelschicksal, sondern betreffen mehrere generelle Probleme von Lehramtsstudierenden sowie Lehrpersonen und zukünftigen Lehrpersonen aufgrund der aktuellen Bedingungen des Studiums und Berufseinstiegs. Darüber hinaus wird es auch um die allgemeine Situation der Bildung gehen, wie ich sie aus der Perspektive als Lehrperson sowie als Personalvertreter*in an der Schule, als auch als nebenberuflich Studierende*r beobachte.

Ich bin seit mehr als acht Jahren im Lehrberuf. Ich bin mit meinem Kunstdiplom von der Akademie an die Schule gekommen. Ich hatte bereits einen Anlauf, das Diplom-Lehramtsstudium zu absolvieren, hinter mir, aber vor fünf Jahren das Bachelorstudium nochmal begonnen, um wie eine Lehrperson entsprechend entlohnt zu werden. Mit meiner erarbeiteten Routine in der Schulpraxis, hoher Motivation für die Professionalisierung im Lehrberuf und Lust zu lernen und mich an diskursiven Auseinandersetzungen zu beteiligen, stieg ich 2018/19 im Wintersemester erneut am IKL neben meiner Lehrtätigkeit an der Schule ein. Ich arbeitete bereits vier Jahre an der Schule und konnte mit einer gewährten zweijährigen Bildungsteilzeit dem Studium umso mehr Zeit widmen. Ich absolvierte in den zwei Jahren sehr viele Seminare, Übungen und Vorlesungen, schrieb eine Bachelorarbeit, brachte die Publikation Re-Making Hügel. Versuche dekolonialer Praxen in Kunst, Bildung und kollektivem Gedächtnis heraus und organisierte eine Ausstellung mit Arbeiten von Schüler*innen, Künstler*innen und Lehrenden im Rahmen des Rundgangs und bin in der forschenden, künstlerischen und pädagogischen Arbeit aufgeblüht. Nach der Bildungsteilzeit im dritten Jahr begann ich wieder Vollzeit an der Schule zu arbeiten und studierte dementsprechend weniger. Ich hatte mit großem Eifer ein Arbeitspensum inklusive Studienaufwand von um die 65 Stunden pro Woche seit Studienbeginn mit Ausnahme des vergangenen Schuljahrs, in dem ich mehr Stunden übernahm und das Studium kaum vorantreiben konnte. Ich hatte allerdings bereits gemerkt, wie schwierig und langwierig das Studium noch sein würde, und mich in meiner zweiten Bachelorarbeit mit den Herausforderungen in der Pädagogischen Professionalisierung in künstlerisch-kreativen Lehrberufen unter dem Aspekt des Quereinstieges auseinandergesetzt. Als ich im Jänner 2022 von dem neuen Master-Studiengang für Quereinsteigende an den niederösterreichischen Pädagogischen Hochschulen erfuhr, hatte ich Hoffnung auf einen rascheren Masterabschluss und ging damit in die Sommerferien. Da ich allerdings im alten Dienstrecht als Lehrer*in angestellt bin, darf ich den Lehrgang nicht machen, was ich erst Ende August kurz vor Schulbeginn erfuhr.

Ich stellte mir daher die Frage, ob ich das Bachelorstudium nun abschließen und das Masterstudium angehen möchte. Ich begann zu rechnen. Um den Bachelor abzuschließen, fehlen mir noch circa 50 ECTS. Das wären umgerechnet 1250 Echtstunden Aufwand (1 ECTS entspricht 25 Echtstunden lt. Curriculum). Hochgerechnet auf ein Arbeitsjahr mit 15 Stunden pro Woche könnte ich die restlichen 50 ECTS theoretisch in vier Semestern abgeschlossen haben. (Es ist wohlgemerkt nicht einbezogen, dass ich mit dem Stundenplan der Schule und den Terminvorgaben der Lehrveranstaltungen keine Kollisionen habe.)

Das Masterstudium, das aktuell viele Kolleg*innen, die im Pädagogischen Dienst sind, oftmals ebenso noch nicht abgeschlossen haben, da es so einen großen Mangel an Lehrpersonal gibt, ist im Ausmaß von 120 ECTS, wobei 14 ECTS angerechnet werden, wenn Studierende bereits unterrichten. Rechnet mensch das wiederum auf Echtstunden um, kommen bei 106 ECTS 2650 Echtstunden zusammen. Angenommen, die Kolleg*innen im neuen Dienstrecht sind an einer Schule, in der die Schulleitung bedacht darauf ist, die Kolleg*innen nicht allzu sehr auszulasten, wie dies laut neuem Dienstrecht möglich wäre, und sie „nur“ 40 Stunden Vollzeit beschäftigt wären und neben dem Schuleinstieg bzw. dem beruflichen Alltag 15 zusätzliche Stunden pro Woche (bei 226 durchschnittlichen Werktagen pro Jahr abzüglich 25 Urlaubstagen, also auch in den Schulferien) sich dem Masterstudium widmen, dauert ihr Studium im Optimalfall bzw. mindestens 3,9 Jahre oder 8 Semester. Dieselbe Kalkulation trifft ebenso auf mich zu, abgesehen davon, dass der Abschluss des Masters für Lehrpersonen im neuen Dienstrecht innerhalb von fünf Jahren ab Dienstantritt bzw. nach Abschluss der Induktionsphase Voraussetzung ist, um erstens in der Gehaltstufe aufzusteigen und um zweitens nicht jederzeit gekündigt werden zu können.

Um nochmal auf meinen Fall zurückzukommen, müsste ich nach obiger Kalkulation insgesamt für beide Studien noch zwölf Semester bzw. sechs Jahre studieren, wenn ich jährlich fünfzehn Wochenstunden nebenberuflich über das ganze Jahr hinweg für das Studium aufbringen würde. Da ich das nicht mehr schaffe, werde ich das Bachelorstudium und das darauf aufbauende Masterstudium aufgeben und treffe diese Entscheidung aufgrund meiner langjährigen Erfahrung, was es heißt, 65 Stunden pro Woche – zumindest während des Schulbetriebs – zu arbeiten. Was ich rückblickend feststellen kann, ist, dass mich 65 Wochenstunden auf Dauer über die letzten Jahre wiederholt an die Grenzen meiner psychischen Gesundheit und über die meines Wohlbefindens gebracht haben, weswegen ich professionelle Hilfe in Form von Psychotherapie und Supervision längerfristig in Anspruch nahm.

Gehen wir davon aus, dass vier Jahre mit einer Belastung von mindestens 65 Stundenwochen eine enorme Herausforderung für beginnende Lehrpersonen darstellt, ist es bereits vorprogrammiert, dass es zu Studienabbrüchen und auch Krankenständen oder Dropouts kommen wird, was wiederum zu einer Verschärfung des Mangels an Lehrpersonen führt und weitere Lehrpersonen mit einem Bachelor bzw. Bachelor-Lehramtstudierende, wie dies zum Teil bereits aufgrund des enormen Mangels an Lehrpersonen der Fall ist, in den Schulen angestellt werden müssen, dann stehen uns herausfordernde Zeiten bevor und es kann von einer Bildungskrise gesprochen werden.
Ohne von der Mehrbelastung durch das Masterstudium zu sprechen, ist die Belastungssituation im schulischen Alltag im Steigen begriffen und hat in jüngster Zeit die Dropout-Quoten besonders von Pädagog*innen im neuen Dienstrecht, aber auch von älteren Pädagog*innen laut Pflichtschulgewerkschaftsvertreter Paul Kimberger erhöht. (Genaue Zahlen gibt es leider keine, wären aber wichtig und hilfreich.) Ich selbst habe miterlebt, wie eine Kollegin des Pädagogischen Dienstes in ihrem zweiten Berufsjahr aufgrund von Überbelastung den Lehrberuf ganz aufgegeben hat und direkt im Anschluss mehrere Monate Krankenstand und Rehabilitation benötigte. Ebenso sind die Dropout-Quoten von Lehramtsstudierenden gestiegen und auch dieser Trend wird sich eher fortsetzen, als dass er bei den aktuellen Aussichten in der beruflichen Praxis, den Teuerungen und der postpandemischen Zustände zurückgehen würde.

Welche Personen werden die Leidtragenden dieser Bildungskrise aufgrund von ausgelasteten Lehrpersonen und Lehrpersonenmangel sein? Es ist zu befürchten, dass die vulnerabelsten in dem System die besonders Leidtragenden sind: Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten, aber auch allgemein die kommenden Generationen von Schüler*innen, die Pflegenden jener, Eltern, Lehrer*innen des neuen Dienstrechts, ältere Lehrpersonen, aber auch die schlecht bezahlten Freizeitpädagog*innen, und generell alle Lehrer*innen ebenso wie die Schulleiter*innen. Die Umstellungen auf das neue Dienstrecht, dessen unbezahlte Mehraufwände und den Druck auf Bachelorlehrpersonen, sowie die Bologna-Reform, die uns “gleichere” Chancen und ein besseres Angebot von Studien versprach, haben die Situation in den Schulen sukzessive verschlechtert, und werden es weiterhin verschlechtern, je mehr junge Lehrpersonen in den Beruf einsteigen werden. Dabei gab es von Studierendenseite vehemente Proteste gegen die Reformierungen im Zuge von Bologna, UniBrennt und von Gewerkschaftsvertreter*innen wurde das neue Dienstrecht seit Beginn seiner Entwicklung an kritisiert. Das neoliberale Versprechen, dass Studierende mehr Chance und Gerechtigkeit und global vergleichbare Studien hätten, führte lediglich dazu, dass die Universitäten nun in der Konkurrenz mit anderen Universitäten in einem globalen Wissensproduktionssystem sich in ihrer Geschwindigkeit und ihren Anforderungen so überschlugen und überschlagen, dass nur äußerst wenige flexible, aufopferungswürdige, care-arbeitslose und privilegierte Studierende darin atmen können.

Die aktuellen Bedingungen des Lehrpersonenmangels, der unter anderem aus der Bologna-Reform hervorgegangenen aufwendigeren Studiengänge, sowie die des neuen Dienstrechts zeigen, dass die bevorstehende Sicherstellung der Allgemeinbildung in Österreich damit Gefahr droht zusammenzubrechen und wir in eine Krise schlittern, sollten wir nicht gravierende Transformationen einleiten. Der Vorsitzende der AHS-Gewerkschaft, Herbert Weiß, kritisiert ebenfalls die Verlängerung der Ausbildung von allen Lehrberufen und richtete sich in seinem letzten Rundschreiben vom 16. September 2022 mit der wiederholten Forderung an Bildungsminister Polaschek, endlich eine Neugestaltung des neuen Lehrer*innendienstrechts anzugehen und die darin vorgesehene Unterrichtsverpflichtung deutlich zu reduzieren, denn das Verheizen und damit Ausbrennen unser jungen Kolleg*innen müsse ein Ende haben.

Ich appelliere daher dringendst an Lehramtsstudierende, Lehrende, Professor*innen, Rektorate sowie Lehrer*innen sich bezüglich Möglichkeiten der Veränderung der aktuellen Situation endlich zu vernetzen, miteinander zu diskutieren und in unser aller Sinne und Auftrag für die Sicherstellung eines funktionierenden Bildungssystems Handlungen zu setzen. Gerade weil ich die kritischen Haltungen und das kritische Potential der Studierenden und Lehrenden am Institut für künstlerisches Lehramt und an der Akademie sehr schätze, rufe ich dazu auf, sich erneut mit den aktuellen Zuständen im Bildungssystem auseinanderzusetzen, Analysen der neoliberalen Paradigmen zu produzieren, die miserablen strukturellen Bedingungen zu benennen und Forderungen zur Transformation zu formulieren. Weiters sich an der öffentlichen Diskussion zu Wort zu melden und sich aktiv zu beteiligen, Position zu beziehen, Statements zu schreiben, eine kritische Aufmerksamkeit zu erzeugen, um alle Mitverantwortlichen in die Pflicht zu nehmen. Und womöglich ist es Zeit, über die Institution der Akademie hinaus zu denken, sich zu vernetzen, zu streiken, zu besetzen, …

Petz Haselmayer
(they/them)
Teacher for Visual Education, Digital Education, Education for Future & Peer Mediation, Artist, Curator & PhD Candidate at the Academy of Fine Arts, Vienna
Email: p.haselmayer@gmx.at
Web: www.walterego.at
Project: remakinghugel.wordpress.com
Collective: www.decolonizinginvienna.at
Articles: https://akbild.academia.edu/PeterHaselmayer
Further Stuff: https://linktr.ee/petzhaselmayer

I am a white cis-passing non-binary European citizen recognizing my own ignorance, willing to unlearn/learn about my privileges and racist, modern/colonial biases, as well as African, Indigenous, Asian and non-human epistemic and ontologic worldings.